A. Friedrich u.a. (Hrsg.): Das Hospital am Beginn der Neuzeit

Titel
Das Hospital am Beginn der Neuzeit.


Herausgeber
Friedrich, Arnd; Heinrich, Fritz; Vanja, Christina
Erschienen
Petersberg 2004: Michael Imhof Verlag
Anzahl Seiten
318 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Oberschelp, DFG-Projekt Franckes Schulen, Archiv der Franckeschen Stiftungen

Der von Arnd Friedrich, Fritz Heinrich und Christina Vanja herausgegebene Sammelband ist der Ertrag eines Kolloquiums, das vom 26.-28. September 2003 in Haina und Frankenberg (Eder) stattfand und sich mit der Stiftung von vier Hohen – also landesherrlichen – Hospitälern in ehemaligen Klöstern in den Jahren 1533-1542 durch den Landgrafen Philipp von Hessen (1504-1567) beschäftigte. Die Hospitäler sollten nach den Wünschen der Veranstalter, die zugleich den Arbeitskreis „Das europäische Hospital am Beginn der Neuzeit bilden, unter medizin-, sozial-, rechts- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen untersucht und in einem europäischen Bezugsrahmen verortet werden. Aber auch für theologie-, literatur- und kunstgeschichtliche Ansätze sollte das Kolloquium, das sich mithin explizit interdisziplinär verstand, ein Forum bieten. (S. 13)

In zwei Blöcken, die sich einerseits mit der Stiftung der Hospitäler, andererseits mit deren Rechtsgrundlagen, Verwaltung und Finanzwirtschaft beschäftigen, behandeln sechs der insgesamt 21 Beiträge die vom Landgrafen gegründeten Einrichtungen. Christina Vanja betont zunächst die Besonderheiten der hessischen Hohen Hospitäler: Sie waren für die Landbevölkerung konzipiert und in ihnen wurden auffallend viele ‚Geisteskranke’ untergebracht, weshalb die Hohen Hospitäler eine Vorreiterrolle für die psychiatrische Versorgung im deutschsprachigen Raum gespielt haben. Aufgrund ihres gleichzeitig „mittelalterlich-religiösen“ als auch „neuzeitlich-rationalen“ Charakters können die hessischen Hospitäler, so bilanziert Vanja zu diesem zentralen Punkt die Bedeutung von Hospitälern für die medizingeschichtliche Entwicklung, nur bedingt in die Vorgeschichte des modernen Krankenhauses eingeordnet werden. Alexandra-Kathrin Stanislaw-Kemenah geht in ihrem Aufsatz der Frage nach, inwieweit sich das ernestinische und das albertinische Sachsen sowie Hessen in ihrer Kirchenpolitik gegenseitig beeinflussten. Deutlich wird dabei sowohl die Orientierung Philipps am kursächsischen, ernestinischen Vorbild als auch seine Auffassung vom „landesväterlichen“ Regiment zum Wohl der Armen. Gury Schneider-Ludorff beschäftigt sich mit der politischen und theologischen Legitimation der Hospitalgründungen, einer Legitimation, die nicht zuletzt deshalb erforderlich wurde, weil der Einzug von Klöstergütern in der Reformationszeit unter den Generalverdacht der persönlichen Bereicherung geriet. So war es nur folgerichtig, dass in der politischen Legitimation der Topos vom „gemeinen Nutzen“ eine wichtige Rolle spielte. Schneider-Ludorff führt als Beleg für diese Intention des Landgrafen eine Schrift von Johannes Ferrarius an, einem Berater Philipps. Zu fragen bleibt allerdings, ob Ferrarius´ Einfluss auf die Politik des Landgrafen im Allgemeinen und die politische Bedeutung seiner Schrift im Besonderen nicht deutlicher hätte herausgearbeitet werden können. Der Frage, ob die Gründung der Hohen Hospitäler in Hessen aus rechtshistorischer Sicht eine Säkularisierung von Kirchengut darstellten, geht Wolfgang Friedrich nach. Mit dem Hinweis auf die Kontinuität sowohl der kirchlichen Zweckbindung als auch der kirchenrechtlichen Stellung der ehemaligen Klöster verneint er im Ergebnis diese Frage. Es wird allerdings deutlich, dass eine rechtshistorische Verengung des Säkularisierungsbegriffs, wie sie der Verfasser fordert, die Bedeutung des Bruchs mit der mittelalterlichen, klösterlichen Tradition nicht deutlich genug zum Ausdruck bringt. Hier wäre möglicherweise der Rekurs auf religionswissenschaftliche Arbeiten zum Säkularisierungsparadigma hilfreich gewesen.1 Auch der Beitrag von Gerhard Aumüller zu den Hospitalärzten und zu den obersten Verwaltungsbeamten, den Obervorstehern, lässt etliche Fragen offen. So wird die medizinische Versorgung der Hospitalinsassen nur sehr kursorisch behandelt und die Bedeutung des Amtes des Obervorstehers und seiner Pflichten erschließen sich dem Leser allenfalls ansatzweise. Der Aufsatz von Arnd Friedrich beschließt die ersten beiden auf die hessischen Hohen Hospitäler bezogenen Themenblöcke und beschäftigt sich mit den Zinseinnahmen des Hospitals Haina zwischen 1557 und 1810. An einzelnen Beispielen belegt der Autor, dass das Entleihen von Kapital und das Eintreiben von Zinsen zur üblichen Finanzpraxis des Hospitals gehörten. Dies steht in einem spannungsreichen Widerspruch zur Intention des Landgrafen Philipp, der in Fortführung der Auffassungen Luthers mit der Umwandlung der ehemaligen Klöster in Hospitäler auch gegen den klösterlichen Zinswucher vorzugehen vorgab.

Den folgenden Themenblock, der verschiedene Hospitäler im frühneuzeitlichen Europa vorstellt, eröffnet Dorothee Rippmann mit einem instruktiven Überblick über die Gründung von Hospitälern und Hospizen in der Schweiz im Spätmittelalter. Für die Fragen nach einer Neuorganisation der Hospitäler im Zuge der Reformation, nach der Säkularisierung der Klöster und nach den finanziellen Hintergründen der nun einsetzenden staatlichen Fürsorgetätigkeit bringt der Blick über die Grenze allerdings keine generalisierbaren Befunde – hier kann die Autorin nur das Fehlen von „vergleichenden Gesamtstudien“ beklagen. Die Säkularisierung von Klostergütern spielte im katholischen Österreich keine erwähnenswerte Rolle, somit kam es hier in der Reformationszeit auch nicht zur verstärkten Gründung von Hospitälern. Hingegen konstatiert Gustav Reingrabner für die Zeit des Barock eine von landes- und grundherrschaftlicher Initiative ausgehende Gründungswelle. Jacob A. van Belzen beleuchtet den Zusammenhang von Religion und Psychatrie in den Niederlanden, wobei er zunächst die Bedeutungsvielfalt dieses Begriffspaares erläutert und Interdependenzen vermutet. Die Untersuchungen zur Gründung des Hospitals Reinier van Arkels in ´s-Hertogenbosch und zu den Anstaltsgründungen, die von den „Reformierten Kirchen in den Niederlanden“ am Ende des 19. Jahrhunderts ausgingen, führen den Autor jedoch zu der interessanten und provokativen These, dass Religion auf die Konzeption und Organisation dieser psychiatrischen Einrichtungen höchstwahrscheinlich keinen Einfluss gehabt hat. Helmut Siefert stellt die Geschichte des Frankfurter Kastenhospitals vom Bezug eines Neubaus 1783 bis in die Zeit der Weimarer Republik vor, wobei er vorwiegend das 19. Jahrhundert behandelt. Bemerkenswert ist, dass auch diese auf ein 1600 gegründetes „Tollhaus“ zurückgehende Einrichtung seit 1531 durch einen Almosenkasten unterhalten wurde, der aus dem „Vermögen aufgehobener Klöster und kirchlicher Stiftungen entstanden war“. Einen Überblick über die Geschichte des Würzburger Juliusspitals von seiner Gründung rund dreieinhalb Jahrzehnte nach der Stiftung des hessischen Landgrafen bis ins 20. Jahrhundert bietet Andreas Mettenleiter. Er behandelt eine Institution, die sich als explizit katholische Einrichtung verstand und die, wie die große Zahl von Pfründnerplätzen und die „monastisch anmutenden Pfründnerordungen“ (S. 165) zeigen, an klösterliche Vorbilder anknüpfte. Am Beispiel zweier Hospitäler der Stadt Bamberg erläutert Wolfgang F. Reddig Binnenstruktur und Verfassung bürgerlicher Sozialstiftungen. Dabei schließt sich der Autor zwar der These Foucaults von der „Geburt der Klinik“ im Zeitalter des aufgeklärten Bürgertums an und betont die vormodernen Funktionen von Hospitälern, zugleich weist er aber auf die Bedeutung medizinischer Behandlungen durch Bader und Wundärzte hin.

Den Bedeutungswandel von Begriffen, mit denen die Insassen von Hospitälern bezeichnet wurden, thematisiert der den Themenblock „Medizinische Versorgung in der Frühen Neuzeit“ eröffnende Beitrag von Ortrun Riha. Detailliert geht die Autorin auch auf Krankheitsbild und -verständnis der Lepra ein, die in den Quellen auch als Aussatz bezeichnete wichtigste Krankheit in der mittelalterlichen Hospitalgeschichte. Damit wird zugleich ein instruktiver Überblick über die Funktion von Hospitälern im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit geboten, der auch gut den Einzeluntersuchungen der drei ersten Kapitel hätte vorangestellt werden können. Für die medizinische Versorgung der Hospitalbewohner waren häufig von der Stadt angestellte Physici zuständig, deren Aufgaben und Funktionen Irmtraut Sahmland an zwei Beispielen anschaulich beschreibt. Die von zwei Ärzten als unhaltbar bezeichneten Zustände in den Hospitälern zeigen nach Auffassung Sahmlands die allmähliche Auflösung der mittelalterlichen Ordnung mit ihrem Gebot zur Unterstützung Armer und Bedürftiger. Der Stuttgarter Medizinhistoriker Robert Jütte beschließt den Themenblock mit einem interessanten Einblick in den Alltag der beiden Kölner Hospitäler St. Katharinen und St. Ursula. Neben den Aufnahmegepflogenheiten behandelt er den Aufenthalt im Hospital, insbesondere die Aspekte Ernährung, Seelsorge und medizinische Versorgung, wobei der Aspekt der geistlichen Versorgung vom Autor recht kursorisch behandelt wird.

Die anschließenden Beiträge widmen sich den Patienten im Hospital. Louise Gray beklagt, dass die in den letzten Jahren boomende Sozialgeschichte der Medizin sich in aller Regel auf das 18. Jahrhundert und – hinsichtlich des Blicks auf die Patienten – auf die Mitglieder der oberen gesellschaftlichen Schichten konzentriert hat. Sie zeigt in ihrem Beitrag, der sich mit Patientengeschichten aus dem Kontext der hessischen Hohen Hospitäler beschäftigt, dass die Quellenlage eine solche Einschränkung nicht zwangsläufig rechtfertigt. Die Rolle von Kindern und Kindheit in der Vormoderne war, spätestens nach der Veröffentlichung von Philipp Ariès´ „Geschichte der Kindheit“ lange Zeit ein kontrovers diskutiertes Thema. Iris Ritzmann bestätigt mit ihrem Beitrag über Kindermedizin in frühneuzeitlichen Hospitälern die Befunde der neueren Forschung, wonach der Umgang mit Kindern auch unter den Vorzeichen einer exorbitant hohen Kindersterblichkeit vielfach von Rücksicht und Respekt, von Seiten der Eltern auch von liebevoller Zuneigung geprägt war.2 Sie konstatiert eine „erstaunlich aufwändige Betreuung“ der Kinder „in den Hospitälern“ (S. 261). Im letzten Beitrag dieses Blocks versucht Fritz Heinrich am Beispiel von drei Einzelfällen aus dem 16. und 17. Jahrhundert der Frage nachzugehen, welche Rolle religiöse Wahnvorstellungen bei der Aufnahme in eines der hessischen Hohen Hospitäler gespielt haben. Interessanterweise – und von der üblichen Aufnahmepraxis abweichend – war in Fällen religiösen Wahns eine Aufnahme auch dann möglich, wenn die betroffenen Personen noch über ein intaktes familiäres Umfeld verfügten, das Unterstützung hätte leisten können.

Die den Sammelband beschließenden Beiträge von Clemens Dieckhöfer, Axel Hinrich Murken und Hannelore Pepke-Durix beleuchten das Thema aus der Perspektive kunst- und kulturgeschichtlicher Fragestellungen und Methoden. Dieckhöfers Versuch einer Darstellung der (literarischen) Wirklichkeit in einem spanischen Hospital des 16. Jahrhunderts hat die Komödie „Los Locos de Valencia“ von Felix Lope de Vega Carpio zum Ausgangspunkt. Dass die darin enthaltenen Textpassagen zum Hospitalalltag tatsächlich geeignet sind, die „Psychiatriegeschichte [...] beträchtlich zu erweitern“ (S. 285), ist aber doch zu bezweifeln. Murken beschäftigt sich mit der Heiligen Elisabeth von Thüringen, der Leitfigur der christlichen Barmherzigkeit schlechthin, die von zahlreichen Künstlern in Malerei und Plastik dargestellt wurde. Er analysiert insgesamt zehn Abbildungen der Heiligen in (vermeintlichen) Hospitalszenen aus Renaissance und Barock und sieht darin ein „Spiegelbild von dem Interieur und dem alltäglichen Ablauf von pflegerischen Tätigkeiten in den Hospitälern“ (S. 299), das die literarische Überlieferung ergänzt. Der Beitrag von Pepke-Durix stellt schließlich einen interessanten Exkurs in die Wirtschaftsgeschichte eines mittelalterlichen Hospitals dar. Gegenstand ihrer Betrachtung ist die Akkumulation von Weinanbauflächen des Hôtel-Dieu von Beaune im Burgund als Ergebnis von Schenkungen und gezielten Ankäufen und deren Bewirtschaftung.

Der Sammelband bietet insgesamt einen guten Überblick über die thematische Vielfalt in der Hospitalforschung zur Frühen Neuzeit, er zeigt aber auch deutlich die Desiderate einer noch zu schreibenden Geschichte dieser wichtigen Institution, besonders in sozial- und kulturgeschichtlicher Perspektive. Dies wird besonders deutlich, wenn die Ergebnisse der jüngeren Medizingeschichtsschreibung zum 18. Jahrhundert zum Maßstab genommen werden.3 Es muss jedoch davor gewarnt werden, sich einseitig von im engeren Sinne medizingeschichtlichen Fragestellungen leiten zu lassen und andere Aspekte, vor allem kultur- und religionsgeschichtlicher Art, zu marginalisieren. Einige der in diesem Sammelband zusammengefassten Aufsätze sind dieser Gefahr durchaus erlegen.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu vor allem die Arbeiten von Hartmut Lehmann. Grundlegend ist hierzu der von ihm herausgegebene Sammelband: Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 130), Göttingen 1997.
2 Siehe hierzu: Arnold, Klaus, Familie – Kindheit – Jugend, in: Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1, Hammerstein Notger (Hrsg.),15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996, S. 135-152, S. 139f.
3 Beispielsweise die jüngst erschienene Arbeit von Jürgen Helm zur Krankenversorgung im Halleschen Waisenhaus: Helm, Jürgen, Krankheit, Bekehrung und Reform. Medizin und Krankenfürsorge im Halleschen Pietismus (Hallesche Forschungen, 21), Halle 2006.

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